Schlesien und seine Geschichte
Schlesien hat eine bewegte Vergangenheit, die durch vielfache Machtwechsel gekennzeichnet ist. Es hat keine natürliche Grenzen, vielmehr hat es sich im Laufe der Geschichte zu einer Einheit entwickelt.
Im Laufe der Jahrhunderte gehörte Schlesien politisch zu verschiedenen Staaten: Böhmen, Österreich-Ungarn, Deutsches Reich und heute Polen. Alle diese Völker, Staaten und Kulturen, haben Spuren hinterlassen, und wurden ihrerseits von Schlesien geprägt.
Geografisch gesehen liegt Schlesien in Südpolen und gehörte neben Ostpreußen und dem Sudentenland zu den Gebieten, die nach dem 2. Weltkrieg abgetreten wurden. Es unterteilt sich in Niederschlesien (Breslau) und Oberschlesien (Oppeln).
Mit Schlesien kommen wir heute noch in Kontakt, selbst wenn es unbewusst ist:
- Das Buch „Die Weber“ des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann beschreibt den Weberaufstand in Schlesien 1844
- Die Sage des Berggeists Rübezahl aus dem schlesischen Riesengebirge
- Schneekoppe – der höchste Gipfel des Riesengebirges und Name einer Firma, deren Gründer aus Schlesien kam
- Stonsdorfer Kräuterlikör – er stammt aus dem Ort Stonsdorf in Schlesien
- Gedichte von Andreas Gryphius und Joseph von Eichendorff
Geschichte Schlesiens
Nach Bodenfunden wird dieses Land seit mehr als 70.000 Jahren besiedelt. „Namentlich“ bekannt sind diese erst aus der Zeit um Christi Geburt: Es waren Germanen, Wandalen, von denen ein Teil bis Nordungarn, (Slowakei) gezogen war. Ein Stamm daraus setzt sich im 3. Jahrhundert durch: Die Silinger, die am Siling-Berg (Zobtenberg) lebten. Daher stammt auch der Name „Schlesien“. Lateinisch heisst es Silesia, deutsch Schlesien, polnisch Slask (sprich Schlonsk), tschechisch Slezk.
Um 600 n. Chr. dürften Slawen Schlesien besiedelt und sich mit den zurückgebliebenen Wandalen verschmolzen haben.
Die nachfolgende Geschichte Schlesiens lässt sich in folgende Zeitabschnitte einteilen:
- Ca. 900-1137: Schlesien im Wechsel zwischen Böhmen und Polen
- 1137 – 1335: Die Herrschaft der Piasten
- 1135 – 1526: Böhmisches Krongebiet
- 1526 – 1742: Österreichische Zeit unter den Habsburgern
- 1742 – 1945: Schlesien unter deutscher (preußischer) Herrschaft
- Seit 1945: Schlesien als Teil Polens
Ca. 900 – 1137: Schlesien im Wechsel zwischen Böhmen und Polen
In Böhmen herrschte von 894 bis 921 der Przemyslide Wratislaw, der die Grundlagen für die politische, wirtschaftliche und kulturell führende Stellung Böhmens im ostmitteleuropäischen Raum schuf. Breslau (Wratislawia) wird dabei als Grenzfestung gegründet. Etwa um diese Zeit muss um die Zentren Posen und Gnesen ein polnisches Staatsgebilde entstanden sein, das von dem Fürstengeschlecht der Piasten beherrscht wird. Der Piastenherzog Mieszko I. und sein Sohn Boleslaw Chrobry (Boleslaus der Tapfere) beginnen um 990 einen Krieg gegen Böhmen, in dessen Folge Schlesien erobert und verwaltungsmäßig eng mit dem polnischen Kerngebiet verbunden wird. Im Jahre 1000 wird vom Kaiser Otto III. das Erzbistum Gnesen (unterstellte Bistümer Breslau und Krakau) gegründet. Nach dem Tode von Boleslaus setzte ein Machtverfall ein. Als Folge daraus wechselte Schlesien mehrmals durch Kriege zwischen Böhmen und Polen. Dieser Streit wird durch den „Pfingstfrieden von Glatz“ 1137 beendet, der einen eindeutigen Grenzverlauf festlegt. Schlesien kommt unter polnische Oberhoheit, nur das Glatzer Land, Leobschütz, Jägerndorf und Troppau werden Böhmen zugesprochen.
II. 1137 – 1335: Die Herrschaft der Piasten
Der polnische Herzog Boleslaus III. (+1138) bestimmt in seinem Testament eine „Senioratsverfassung“. D.h. dass in seinem Land, das er unter vier Söhne aufgeteilt hat, der jeweils älteste seiner Nachkommen als „Senior“ über den anderen stehen und so das ganze Land zusammenhalten soll. Allerdings führt diese Regelung zu einem Zwist unter den Brüdern. 1202 endet das Seniorat und damit die Einheit Polens in staatsrechtlicher Beziehung. Die einzelnen Teile werden selbständig, so auch die beiden schlesischen Herzogtümer, das Herzogtum Schlesien und das Herzogtum Oppeln.
Der innere Anschluss der schlesischen Piasten an den deutschen Westen wurde durch Heiraten mit deutschen Fürstentöchtern gestärkt, wie z.B. durch die Ehe Heinrichs I. mit Hedwig von Andechs, die 1267 heilig gesprochen wurde und bis heute als Landespatronin gilt.
Der Vorstoß der Mongolen nach Mitteleuropa führte zu Kämpfen in Schlesien. In der Schlacht bei Wahlstatt (1241) stirbt Heinrich II. Als Folge darauf kommt es im Rahmen der Erbauseinandersetzungen zur einer Teilung des Herzogtums Schlesien, 40 Jahre später auch des Herzogtums Oppeln. Die Teilung geht weiter, die kleinen Teilherzogtümer sind politisch machtlos, ihren starken Nachbarn ausgeliefert.
Inzwischen ist in der Bevölkerungsentwicklung ein Wandel eingetreten. Ursache hierfür waren Besuche der Piasten im 12. Jhdt. an der Mittelelbe, wo Erfolge eines neuartigen Landesausbaus, ein voll entwickeltes Stadtmodell und der Einsatz bislang unbekannter rechtlicher Siedelformen zu sehen waren. Daher wurde die Ansiedelung von deutschen Bauern in Schlesien vorangetrieben. Später setzte unter Herzog Heinrich I. eine systematische Ansiedlung von Deutschen ein, die für die Wirtschafts- und Rechtsentwicklung Schlesiens prägend war.
Konfrontiert mit den Ansprüchen des 1320 gegründeten Königreichs Polen begaben sich die schlesischen Fürsten 1329 in die böhmische Lehnsabhängigkeit. Im Jahre 1335 verzichtet der polnische König Kasimir III. der Große im Vertrag von Trentschin „auf ewige Zeiten“ auf die schlesischen Herzogtümer. Im Gegenzug verzichtet der König von Böhmen auf seine Ansprüche auf den polnischen Thron.
Die Trentschiner Vereinbarung, Vorläufer einer Reihe polnischer Verzichtserklärungen, bestätigte die politische Trennung Schlesiens von Polen und wurde Grundlage des (prinzipiellen) Grenzverlaufs bis Anfang des 20. Jahrhunderts.
III. 1135 – 1526: Böhmisches Krongebiet
Der böhmische König Karl, seit 1347 als Karl IV. deutscher Kaiser, schenkte Schlesien sein Hauptinteresse. Der Handel auf der „Hohen Straße“ von Leipzig über Görlitz, Breslau, Lemberg bis zum Schwarzen Meer wuchs. Unter Karls Nachfolgern nahmen Fehdeunwesen und Raubrittertum wieder überhand.
Die nach dem Märtyrertod Jan Hus ausgelösten Hussitenkriege (1419-1436) führten zu innerböhmischen Unruhen und zu Verwüstungen. Auch in der Folgezeit gab es viel Not, die Höfe der Bauern verödeten teilweise. Die bis dahin sesshafte Bevölkerung vermischte sich. Teilweise setzte sich die deutsche, teilweise die polnische bzw. mährische Sprache durch. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war an Stelle von Latein Deutsch die Amtsprache geworden, nach den Hussitenkriegen wurde es in Oberschlesien die tschechische Sprache, da dies damals besonders die Sprache des oberschlesischen Adels war. Allerdings kann daraus nicht auf die Abstammung der Bewohner geschlossen werden.
1469 eroberte der ungarische König Matthias Corvinus die böhmische Krone und erhielt Mähren, Schlesien und die Lausitz. Da seine Nachfolger ohne männlichen Erben blieben, schloss er mit Kaiser Maximilian I. einen Ehevertrag für dessen Enkel Ferdinand. So fiel Schlesien im Erbgang 1526 an die Habsburger.
IV. 1526 – 1742: Österreichische Zeit unter den Habsburgern
Seit 1520 breitete sich die Reformation auch in Schlesien aus, womit sich der Einfluss deutscher Kultur sowie die Verbindung zu den mitteldeutschen Gebieten verstärkte. Sie setzte sich in ganz Schlesien mit Ausnahme schwach besiedelter Gebiete in Oberschlesien durch. Die habsburgischen Herrscher machten von dem damals geltenden Recht „cuius regio, eius religio“ (wessen Land, dessen Religion, d.h. der Gebietsherr bestimmt die Religion seiner Untertanen) keinen Gebrauch, vor allem, weil sie durch die Türkenkriege gebunden waren. In der so genannten Gegenreformation wurde ein großer Teil von Oberschlesien wieder katholisch.
In dieser Zeit erlebt die schlesische Dichtkunst (Martin Opitz, Andreas Gryphius, Angelus Silesius, Jakob Böhme) ihre Blüte. Die Amtssprache und die Sprache des Adels ist wieder deutsch.
V. 1742 – 1945: Schlesien unter deutscher (preußischer) Herrschaft
1740 eroberte König Friedrich II. von Preußen mit einem Heer das militärisch kaum geschützte Schlesien. Widerwillig musste Maria Theresia im „Frieden von Breslau“ (1742) Schlesien abtreten. Friedrich verteidigte im zweiten schlesischen Krieg (1744-1745) das Land. Nachdem er sich von einem neuen Bündnissystem eingekreist saht, begann er 1756 den Dritten Schlesischen Krieg bzw. den Siebenjährigen Krieg. Dieser endete mit dem Frieden von Hubertusburg und dem endgültigen Verbleib Schlesiens bei Preußen. Österreich behielt die Gebiete von Teschen, Troppau und Jägerndorf (sog. Österreichisch-Schlesien).
Die evangelische Bevölkerung Schlesiens nahm den Wechsel zu den Hohenzollern freudig auf. Für die Katholiken wirkte sich die 1810 erfolgte Säkularisierung, d. h. die Enteignung des Kirchenbesitzes, und der Verdacht, mit den Habsburgern zu sympathisieren, negativ aus.
1813 ging von Breslau das Signal zur Erhebung gegen die französische Herrschaft aus, und ins Freikorps des Majors von Lützow strömten viele Freiwillige, deren Uniformfarben – schwarz, rot, gold – später zum Symbol für die Sehnsucht der Deutschen nach Einheit und Freiheit wurden. König Friedrich Wilhelm III. hatte Anfang 1813 seine Residenz nach Breslau verlegt, wo er den „Aufruf an mein Volk“ erließ und den Orden des Eisernen Kreuzes stiftete.
Nach dem Fortfall der napoleonischen Kontinentalsperre seit 1813 waren angesichts der preußischen Freihandelspolitik z.B. billigere Produkte der englischen Textilindustrie ins Land geströmt. Die Umstellung auch bei den deutschen Fabrikanten führte zur Verelendung und zu Unruhen der schlesischen Hausweber, die 1844 vom Militär blutig niedergeschlagen wurden. So entzündeten sich 1848 – noch vor den Berliner Demonstrationen – in Schlesien zahlreiche Aufstände.
Der Krieg gegen Österreich entfachte 1866 neuen Patriotismus für Preußen, und König Wilhelm I. nahm die erste Siegesparade nicht in Berlin, sondern in Breslau ab. Nach der Reichsgründung 1871 sollte der Kulturkampf eine schwere Belastung Schlesiens werden.
Schlesien erlebte im 19. Jahrhundert einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Das Eisenbahnnetz wuchs nach 1842 rasch und begünstigte die Bildung neuer Industriegebiete und den Abbau von Bodenschätzen. Zählte um 1800 die Bevölkerung knapp zwei Millionen, so lebten um 1900 mehr als 4,5 Millionen Menschen in dieser reich gewordenen Agrar- und Industrielandschaft.
Der 1. Weltkrieg und Abstimmung in Oberschlesien 1921
Die Wiederherstellung Polens war zu einem der Kriegsziele der Entente-Mächte im Ersten Weltkrieg geworden, und so wurde im Versailler Vertrag bestimmt, dass ganz Oberschlesien an Polen abzutreten sei. Aufgrund britischen Einspruchs wurde jedoch 1920 eine Volksabstimmung angeordnet. Französische, britische und italienische Truppen rückten in die Abstimmungsgebiete ein, um die „Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission“ zu unterstützen. Polnische Gruppen hatten seit 1919 versucht, durch zwei Aufstände vollendete Tatsachen zu schaffen. So fand die Abstimmung am 20. März 1921 in sehr gespannter Atmosphäre statt, bei einer Wahlbeteiligung von 97%. Knapp 60% der Oberschlesier votierten für einen Verbleib bei Deutschland, 40% für Polen. Damit hatten auch wesentliche Teile der Bevölkerung mit polnischer Muttersprache für das Deutsche Reich gestimmt. Dieser Misserfolg für Polen führte 1921 zum dritten polnischen Aufstand, in dem Korfantys Kampftruppen den beanspruchten Teil Oberschlesiens besetzten. Beim Sturm auf den Annaberg kam es zu blutigen Gefechten mit deutschen Freikorps. Dieser letzte der Aufstände erlosch vor allem durch den Eingriff der Alliierten. Obwohl noch Zweifel an der Grenzziehung bestanden, nahm eine Botschafterkonferenz in Paris einen Teilungsvorschlag des Völkerbunds am 20. Oktober 1921 an. 9.713 Quadratkilometer blieben bei Deutschland, 3.212 Quadratkilometer mit den wertvollen Industriegebieten um Kattowitz, Rybnik und Tarnowitz, aus denen nun ca. 100.000 Deutsche auswanderten, kamen zu Polen.
1939 diente Schlesien als eines der Aufmarschgebiete für die Angriffsarmeen Hitlers. Besonders bekannt ist der fingierte „polnische“ Überfall auf den Rundfunksender Gleiwitz, der als offizieller Grund für den Einmarsch in Polen verwendet wurde. In der Konferenz von Jalta (Februar 1945) wurde beschlossen, dass die schlesischen Gebiete bis zur Oder und Neiße unter polnischer Verwaltung stehen sollten.
VI. Seit 1945: Schlesien als Teil Polens
Die deutsche Volksgruppe in Schlesien zählte um 1950 rund 900.000 Menschen. Dies entspricht 90% der im polnischen Hoheitsbereich lebenden Deutschen. In der kommunistischen Zeit wurden sie unterdrückt und ständigem Assimilationsdruck ausgesetzt. Der Gebrauch der deutschen Sprache blieb lange verboten.
Erst nach dem Ende der Kommunistenherrschaft 1989/90 konnten die Deutschen sich wieder artikulieren, Vereine gründen und offen Verbindung mit den vertriebenen Landsleuten im Westen aufnehmen. Doch die große Aussiedlungsbewegung der Jahre 1988-91, als rd. 540.000 Menschen die Republik Polen als deutsche Aussiedler bzw. deren Angehörige verließen, blieb nicht ohne Folgen. Heute lebt noch etwa 0,5 Mio. Deutscher in der Republik Polen, die große Mehrheit davon in den seit 1997 bestehenden Wojwodschaften Niederschlesien, Oppeln und „Schlesien“ (quasi Ost-Oberschlesien). In der Wojwodschaft Oppeln stellen sie ein gutes Drittel der Bevölkerung.
Bei der Volkszählung 1970 wurde auch der Vertriebenenstatus erhoben. Dabei ergab sich, dass von den vertriebenen Schlesiern und ihren Nachkommen eine Million in NRW, über 600.000 in Niedersachsen, 460.000 in Bayern und fast 200.000 in Hessen lebten.
Am 21. Juni 1990 bestätigten der Deutsche Bundestag und die Volkskammer der DDR im Staatsvertrag zur deutschen Einheit die seit 1945 bestehende Grenze als polnische Westgrenze.